Diabetisches Fußsyndrom – Was tun, was lassen?
Bis zu ein Drittel aller Diabeteserkrankten entwickelt ein diabetisches Fußsyndrom (DFS), verursacht durch die Schädigung von Nerven und Blutgefäßen in den unteren Extremitäten. Warum Durchblutungsstörungen in diesem Bereich nicht ausschließlich per Knöchel-Arm-Index diagnostiziert werden sollten, weshalb bei Druckstellen immer eine vollständige Entlastung notwendig ist und warum das Säubern einer offenen Hautstelle mit Leitungswasser kritisch zu betrachten ist – über diese und andere Dos und Don‘ts klären Experten der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) auf. Zielgerichtete Diagnostik und Therapie können Spätschäden des DFS wie chronische Wunden und Amputationen verhindern.
Die Krankheitslast, die durch den Typ-2-Diabetes in Deutschland verursacht wird, ist gewaltig: Aktuell leiden rund neun Prozent der Bevölkerung an der Stoffwechselstörung. „Davon entwickelt jeder fünfte bis jeder dritte im Laufe seines Lebens ein diabetisches Fußsyndrom“, sagt Professor med. Christian Uhl von der Klinik für Gefäßchirurgie und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg. Um schwerwiegende Folgen für die Betroffenen abzuwenden, aber auch, um enorme Kosten für das Gesundheitswesen zu vermeiden, bedürfe es einer frühzeitigen Diagnose und eines sorgfältigen medizinisches Managements des DFS.
ABI allein nicht ausreichend zur Diagnose
Für die Beurteilung der Bein- und Fußdurchblutung wird im Praxisalltag oft der so genannte Knöchel-Arm-Index (ABI, ankle-brachial-index) herangezogen, der Auskunft über Blutdruckunterschiede zwischen den oberen und unteren Extremitäten gibt. „Bei Diabeteserkrankten reicht die Ermittlung des ABI allein jedoch nicht aus“, gibt Uhl zu bedenken. Ihre Gefäßwände hätten häufig bereits an Elastizität eingebüßt, sodass die Ergebnisse verfälscht würden. Mittlerweile sei die farbcodierte Duplexsonographie die Untersuchungsmethode der Wahl. „Mit ihr lassen sich relevante Durchblutungsstörungen in drei Viertel der Fälle erkennen“, so der DGG-Experte. Zudem sei das Verfahren kostengünstig, nicht invasiv und gehe nicht mit einer Strahlenbelastung einher.
Bei offener Wunde muss Revaskularisierunrfolgen
Wird eine relevante Einschränkung der Durchblutung festgestellt, sollte in jedem Fall eine Revaskularisierung vorgenommen werden – denn ob eine chronische Wunde entsteht, bestehen bleibt oder abheilt, hängt entscheidend von der Durchblutung ab. „Für die Wiederherstellung der Blutversorgung stehen sowohl endovaskuläre als auch operative Verfahren zur Verfügung“, erläutert Uhl. Welches Vorgehen für welchen Patienten gewählt werde, richte sich hauptsächlich nach individuellen Risikofaktoren.
Keine Amputation ohne vorherige Duplexsonographie
Eng damit in Zusammenhang steht auch eine Empfehlung des DGG-Experten zur Amputation: Dieser schwerwiegende Eingriff solle niemals vorgenommen werden, ohne zuvor den Zustand der Gefäße sorgfältig untersucht zu haben. Denn auch für die Heilung der Amputationswunde ist eine ausreichende Durchblutung von großer Bedeutung. „Im Zweifel kann vor dem Eingriff eine Revaskularisierung vorgenommen werden, um die Chancen auf eine unkomplizierte Wundheilung zu verbessern“, so Uhl.
Kein Leitungswasser zur Wundreinigung
Damit eine Amputation erst gar nicht notwendig wird, bedarf es eines optimalen Wundmanagements. An dessen Anfang steht immer die Säuberung der Wunde, um tote Gewebeanteile und Fibrinbeläge zu entfernen und die Bakterienzahl zu reduzieren. Ob dabei auch Leitungswasser als Spüllösung eingesetzt werden kann, wird kontrovers diskutiert. „Je nach Hygienestandard muss die Säuberung mit Leitungswasser kritisch beurteilt werden“, sagt Uhl. Wenn überhaupt, solle in diesem sensiblen Bereich nur keimfrei filtriertes Wasser verwendet werden.
Antibiotika nur bei sich ausbreitendem Infekt
Prinzipiell erst nach der Wundreinigung kann per Abstrich untersucht werden, welche Bakterien die Wunde wie stark besiedelt haben. „Erst dann kann die tiefe Besiedelung erfasst werden, die für die Entscheidung für oder gegen eine Antibiotikagabe relevant ist“, so der Heidelberger Gefäßmediziner. Noch immer würden Antibiotika zu früh und zu häufig eingesetzt, was die Bildung von Resistenzen fördere. „Erst bei Anzeichen einer sich ausbreitenden Infektion wie Fieber oder Schüttelfrost erfolgt die Antibiotikagabe“, betont Uhl.
Vollständige Druckentlastung bei wunden Stellen
Als weitere wesentliche Voraussetzung für eine gute Wundheilung nennt Uhl die vollständige Druckentlastung des betroffenen Bereichs – denn das zarte, neu entstehende Deckgewebe kann durch Druck und Reibung schnell wieder zerstört werden. Eine Druckentlastungshilfe bietet dabei meist einen ausreichenden Schutz; um große Wunden zum Abheilen zu bringen, es kann aber auch eine vollständige Ruhigstellung des Patienten notwendig sein. „Unabhängig von der Art der Druckentlastungsmaßnahme sind die korrekte Anwendung, die Mitarbeit der Patientinnen und Patienten sowie die interdisziplinäre Kooperation mit den betreuenden Diabetologinnen und Diabetologen entscheidend für den Therapieerfolg“, betont Uhl. Das gelte für die Wundtherapie ebenso wie für das Management des Diabetes selbst – auch dieses könne nur durch die aktive Mitarbeit der Betroffenen bei Blutzuckereinstellung, Bewegung, Ernährungsumstellung und Gewichtsabnahme gelingen.
Quelle: DDG