Runder Tisch beim BMEL zur Ernährung bei Diabetes Typ 2 endet ohne Ergebnisse:

Forschung am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) muss weiter intensiviert werden und ein Werbeverbot für ungesunde Kinderlebensmittel gehört verbindlich in den nächsten Koalitionsvertrag

Berlin – Der Runde Tisch des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zur „Ernährung bei Diabetes Typ 2“ am 13. April 2021 endete leider ohne Ergebnisse. Eingeladen hatte Bundesministerin Julia Klöckner Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) sowie Vertreter der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und anderer Verbände. DDG und DZD bedauern in der Folge den offenen Ausgang und weisen darauf hin, wie wichtig es sei, beispielsweise die Bewerbung ungesunder Lebensmittel an Kinder nicht nur zaghaft zu regulieren, wie jüngst vom BMEL mit dem Zentralverband der Deutschen Wirtschaft (ZAW) vereinbart, sondern diese zu verbieten

92 Prozent der Werbung, die Kinder in TV und Internet sehen, bewirbt Fast Food, Snacks und Süßes – und dies, obwohl sich die Industrie bereits seit Jahren diesbezüglich Selbstverpflichtungen auferlegt hat. „Daran wird auch die Neufassung der freiwilligen, unverbindlichen Empfehlungen zum Marketing für Kinderlebensmittel, die das BMEL jetzt mit dem ZAW auf den Weg gebracht hat, wenig ändern“, betont DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Es handelt sich um von der Industrie selbst entwickelte Empfehlungen, die weiterhin unverbindlich und vage formuliert sind und damit keineswegs den Empfehlungen der WHO entsprechen. „Wir brauchen gesetzgeberische Maßnahmen auf Bundesebene, vergleichbar mit dem Tabakwerbeverbot“, so Bitzer.

Gemeinsam mit weiteren Maßnahmen, wie der seitens der DDG schon lange geforderten „Gesunden Mehrwertsteuer“, die gesunde Lebensmittel mit geringem Anteil an Zucker, Fetten und/oder Salz steuerlich entlasten will, einer Stunde Bewegung am Tag für Kinder und Jugendliche sowie verbindliche Ernährungsstandards für das Essen in Kitas und Schulen kann ein Durchbruch bei der Prävention von Adipositas, Diabetes und weiteren chronischen Krankheiten erzielt werden. „Bereits während der Schwangerschaft und in der Kindheit werden die Grundlagen für die späteren Ernährungsgewohnheiten eines Menschen gelegt. Daher darf man vor allem die gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen keinesfalls dem Zufall überlassen“, fordert die Präsidentin der DDG, Professor Dr. med. Monika Kellerer. Aufklärung allein hilft nicht, nur durch verbindliche, gesamtgesellschaftliche Maßnahmen lässt sich in Zukunft die Zahl der Menschen mit Übergewicht und Adipositas, die in der Folge häufig einen Diabetes Typ 2 entwickeln, reduzieren.

Auch wenn die DDG sowie die Wissenschaftler des DZD unter der Überschrift „Ernährung bei Diabetes Typ 2“ von der Ministerin Klöckner eingeladen wurden, stand dieses Thema beim Runden Tisch nicht im Mittelpunkt, sondern eher Fragen der allgemeinen Ernährungskompetenz und -bildung. Diese müsse zwar auch gestärkt werden, doch reiche das nicht aus, so die DDG-Präsidentin Kellerer: „Wir erwarten daher spätestens im nächsten Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zu mehr gesetzgeberischer Verbindlichkeit, um die bedrohliche Adipositas- und Diabetes-Pandemie einzudämmen.“

Wie wichtig diese Verbindlichkeit ist, lässt sich auch wissenschaftlich belegen. Man weiß heute, dass nicht alle Menschen dieselbe und gleich intensive Ernährungsberatung benötigen. „Wissenschaftlich lassen sich Risikogruppen identifizieren – auch unter den Menschen mit Diabetes Typ 2. Für diese sind dann maßgeschneiderte Ernährungsprogramme anzubieten“, betont Professor Dr. med. Andreas Fritsche, einer der Studienleiter der vom DZD initiierten Prädiabetes-Lebensstil-Interventions-Studie (PLIS).

Das DZD ist eines von sechs vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit finanzierten Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, das sich unter anderem intensiv mit individualisierter Ernährungsprävention und -therapie bei Diabetes Typ 2 beschäftigt. „Um zu verlässlichen Bewertungen von ernährungspräventiven Maßnahmen zu kommen, ist es wichtig, die Expertise weiterer Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler zu nutzen sowie sich auch mit anderen Ministerien wie dem BMBF und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu vernetzen“, regt die DZD-Sprecherin Professor Dr. Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung, Potsdam an.

„Wir haben uns über die Einladung zum Runden Tisch gefreut und schätzen das Engagement der Ministerin, beim Thema gesunde Ernährung voranzukommen“, erklärt DDG Präsidentin Kellerer. „Doch solche Veranstaltungen bringen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger nur dann etwas, wenn klare Ziele angestrebt, gemeinsam diskutiert und konkrete Schritte identifiziert werden.“ Jetzt setzen DDG und DZD auf die nächste Legislaturperiode: Nachdem trotz Ankündigung und Verabschiedung einer Nationalen Diabetes-Strategie in den letzten Jahren nicht viel passiert ist, müssen nun endlich wirkungsvolle Maßnahmen für einen gesundheitsfördernden Lebensstil seitens des Gesetzgebers umgesetzt werden.

Quelle: DDG

Neue Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ – Magen-OP bei geeigneten Diabetespatienten künftig schneller möglich

Über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland hat Übergewicht, ein Viertel der Bevölkerung ist adipös und damit krankhaft übergewichtig. Die Betroffenen leiden häufig an einem Typ-2-Diabetes und sind auch zudem einem hohen Risiko für Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall ausgesetzt. Nun kann Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 40 kg/m² zur Verbesserung des Stoffwechsels künftig schneller zur Magenoperation geraten werden.

Diese Empfehlung ist ein zentraler neuer Punkt der aktualisierten S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“, an der die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) mitgewirkt hat. Erstmals wurde hierbei die metabolische Chirurgie berücksichtigt. Zu den Standardverfahren zählen die Magen-Bypass-Operation – dabei wird der Magen durch einen Teil des Dünndarms überbrückt – sowie Verkleinerungen des Magenvolumens zu einem sogenannten Schlauchmagen. Künftig steht bei diesen Operationen weniger der alleinige Gewichtsverlust im Vordergrund, sondern eine Verbesserung des Stoffwechsels und Gesundheitszustandes zugunsten der Lebensqualität und Lebenserwartung. „Diese Richtungsänderung ermöglicht, die Kostenübernahme metabolischer Operationen einfacher und patientenorientierter zu gestalten, die hoffentlich zur Regelleistung der Gesetzlichen Krankenkassen werden“, betont DDG-Präsident Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland. Die Leitlinie sei ein Instrument zur Optimierung der Behandlung von Adipositas und metabolischen Erkrankungen, insbesondere des Typ-2-Diabetes. Patienten mit einem Typ-2-Diabetes und Adipositas dritten Grades – also einem BMI über 40 kg/m² – brauchen nun keinen Nachweis mehr erbringen, dass die Möglichkeiten der Gewichtsregulierung ausgeschöpft sind und nur noch die metabolische Operation helfen kann. Da davon ausgegangen wird, dass die Patienten im Rahmen von Schulungsprogrammen ausreichende Kenntnis über Lebensstiltherapie und Ernährung erhalten haben, können sie künftig sofort operiert werden. Der Eingriff ist auch für Diabetespatienten mit einem BMI über 35 kg/m² empfehlenswert, wenn sich die diabetesspezifischen Therapieziele durch Medikamente und Lebensstiländerungen wie Ernährungsumstellung und Bewegung nach Einschätzung der behandelnden Diabetologen nicht erreichen lassen. Bei einem BMI über 50 kg/m² ohne Begleiterkrankungen kann ebenfalls sofort operiert werden. Studien zeigen, dass die metabolische Chirurgie unmittelbar nach dem Eingriff zu einer Verbesserung des Glukose- und Insulinstoffwechsels führt, obwohl noch gar keine Gewichtsabnahme eingetreten ist. Die Normalisierung des Blutzuckerspiegels ist auf eine starke Reduktion der Kalorienaufnahme und Veränderungen der Produktion von Hormonen des Magen-Darm-Traktes zurückzuführen. Patienten können dann die Insulindosis reduzieren oder ganz auf Medikamente verzichten. „Für krankhaft übergewichtige Diabetespatienten kann die Operation ein lebensrettender Ausweg aus einem langen Martyrium sein“, sagt Professor Dr. med. Jens Aberle, Ärztlicher Leiter des Adipositas-Centrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Co-Autor der Leitlinie. Bei schwerer Adipositas gelingt es nur in wenigen Einzelfällen, durch Ernährungsumstellung und mehr Bewegung das Gewicht zu reduzieren – und somit auch das hohe Risiko für Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Nierenschäden. „Die metabolische Chirurgie ist für Patienten mit schwer kontrollierbaren Blutzuckerwerten daher eine effektive antidiabetische Therapie“, betont Aberle. Sie vermeidet zudem hohe Kosten für das gesamte Gesundheitssystem, die durch die Behandlung der Adipositas bedingten Folgeerkrankungen entstehen.

Laut Leitlinie ist die strukturierte Nachsorge durch Experten auch nach dem operativen Eingriff bedeutend. Dazu zählen die Kontrolle der Gewichtsentwicklung, der Laborwerte und des Ernährungsverhaltens sowie die Teilnahme an Selbsthilfegruppen und eine psychologische Begleitung.

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